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Mittwoch, 8. März 2000

Faschings-Bericht - oder wie alles anfing

Ich war noch Soldat gewesen und wir führten mehr oder weniger eine Wochenendbeziehung. Es war Faschingszeit - eine Zeit der ich - im gegensatz zu meiner Freundin - nicht wirklich was abgewinnen konnte. Aus meiner Sicht pure Zeitverschwendung.
Ich war mir zu diesem Zeitpunkt auch über viele meiner Neigungen noch nicht so bewusst wie ich es heute bin. In unserer Stammdisko fant halt so eine Veranstaltung statt, wo die Leute in ihren Kostümen auftachten. Meine Freundin wollte auch unebdingt dort hin. Also verkleidete sie sich und nervte mich die ganze Zeit damit wie meine Verkleidung aussehen sollte. Ich erzählte ihr dabei zum xten Male, dass ich keine Ahnung habe und sowieso keine Lust auf Verkleiden hätte. Sie war von meiner Einstellung nicht so begeistert und so ging das fast den ganzen Tag soweiter bis sie irgendwann keine Lust mehr hatte, meinen Sturrkopf zu überzeugen. Also gingen wir am Abend zusammen auf die Veranstaltung. Sie verkleidet ich nicht. Ich dachte mir, dass ich mich dann eh an die Theke verziehe, wo ich mich über das bunte Treiben dann amüsieren kann. Es kam wie es kommen musste. Im Laufe des Abends nahm mein Alkoholkonsum zu und ich war auch gut angetrunken als sie mich wieder wegen diesem Thema nervte. Sie fing damit an, dass sie das nächste mal alleine zu so einer Veranstaltung geht, wenn ich mich schon nicht verkleide und mitmache. Am liebsten hätte ich gesagt: "Mach doch". Doch damit hätte ich sie nur noch mehr verärgert und so leierte ich meinen Spruch zum Zehntausendsten male runter, dass ich eh keine Verkleidung gefunden hätte und mir das sowieso nicht so viel Spass macht. Da wir aber an diesem Wochentag eigentlich fast immer in der Disko waren, hatte ich einfach auch keine Lust, alleine zu Hause zu hocken. Sie sagte, dass sie mich auch verkleidet hätte. Ihr wäre bestimmt etwas eingefallen. Da mir das wirklich auf den Keks ging, sagte ich ihr leicht genervt: "Kannst Du ja beim nächsten Mal machen!" "Versprochen?", war ihre Rückfrage. In der Hoffnung, dass damit entgültig das Thema vom Tisch wäre, sagte ich "JA!". Außerdem würde sie es das nächste Jahr wieder vergessen haben - also machte ich mir auch keine Sorgen und am nächsten Tage hatte ich es schon wieder gut verdrängt.
So ging fast ein Jahr rum und ich dachte kein Stück mehr daran, als die Faschingszeit wieder anfing. Beim Einkaufsbummel fragte sie mich eines Tages, ob ich mich an mein Versprechen vom letzten Jahr erinnern würde. Ich fragte nur, "WAS für ein Versprechen?", "Na, dass ich Dich dieses Jahr verkleiden werde - Du hast Dein Wort darauf gegeben" Langsam fiel mir wieder ein, was ich in der Nacht mit alkoholgelöster Zunge gesagt hatte und sagte nur, dass es doch nicht zählt, da ich was getrunken hatte. "DAS interessiert mich nicht. Du hast es gesagt..." Naja, irgendwie hatte sie ja recht und antwortete "Na von mir aus - Darf ich dann wenigsten fragen als was? Vampir, Monster, Clown oder was?" "Als Frau denke ich mal, so mit Schuhen, Perücke, Brüsten, Korsage, 'nem netten Kleid und was sonst noch alles dazugehört" Na toll, was bin ich begeistert. "Das machst Du doch nur, um Dich bei meinen Kommentaren ueber die 'mir tun meine Füsse so weh' und den über die Korsage zu revanchieren oder?" "Ist ein netter Nebeneffekt..." war ihr einziger Kommentar. Im Laufe das Tages versuchte ich trotzdem, es ihr mehrfach auszureden, aber sie blieb dabei. Schliesslich hätte ich ja mein Wort gegeben.
Also wehrte ich mich auch nicht weiter und behielt sämtliche Ausreden, welche mir noch einfielen für mich. Aber mit der Zeit schaffte sie es mit ihrem unwiderstehlichem Scharm mich mit Ihrem Enthusiasmus anzustecken und wir machten uns gemeinsam daran, Sachen für diesen Abend zu suchen sowie Gedanken über das größte Problem: Die Schuhe. Woher sollte man entsprechende Schuhe in meiner Größe bekommen?
In gewisser Weise meinte ich zu sehen, dass sie es schade fand, dass ich so große Füsse hatte und dementsprechend keine passenden Schuhe gibt
Als ich in den nächsten Tagen wieder in der Kaserne war und nach dem Dienst wieder gelangweilt auf der Koje in meiner Stube lag und einfach nicht wusste, was ich mit dem Rest des Tages anfangen sollte, dachte ich mir - verhindern kann ich es eh nicht und auf der anderen Seite wäre es doch auch ein Spaß die ganzen dummen Gesichter zu sehen. Also was solls? Wenn schon, dann aber richtig!
Raus aus der Koje, schnell die Uniform aus, Taxi rufen und ab zum Bahnhof. In den ersten Zug nach Hamburg gesetzt und schon gab es kein zurück. Schliesslich war es gerade erst 16:00 Uhr. Der Zug braucht ca. 1 1/2 Stunden bis Hamburg und die Geschäfte in der Reeperbahn waren die einzigen, welche mir einfielen, wo man solche Schuhe herbekommt. Ausserdem hatten die dort bis spät in die Nacht auf. Wenn ich nichts finde, kann ich mir immer noch einen schönen Abend auf der Reeperbahn machen, bis ich in die Kaserne zurückkehre. Muss nur den letzten Zug erwischen.
Ich gebs ja zu, machmal mache ich schon verrückte Sachen, aber irgendwie war da doch ein gewisser Reiz und ich schätzte den Spassfaktor auch als relativ hoch ein.
Trotz alledem war ich während der gesamten Zugfahrt nervös und das legte sich auch nicht als ich in Hamburg auf der Reeperbahn ankam. Hier ging erstmal das große Suchen los. Ich hatte schon eine klare Vorstellung, was ich haben wollte (es sollte schliesslich auch meine Freundin überraschen :-) ): Es sollten hohe Lackstiefel sein, welche bis übers Knie gehen und einen sexy Absatz hatten. Erste Station war die Boutique-Bizarre. Leider hatten sie in meiner Größe keine auf Lager, dafür aber ein paar Schaumgummibrüste, welche auch relativ günstig waren und ein paar Fetisch-Zeitschriften (für süße Träume in den einsamen Kasernenabenden).In der Boutique war es auch kein Problem mich unaufällig umzusehen - schliesslich hatte das Geschäft einen entsprechenden bizarren Touch, da fallen meine Wünsche nicht so sehr auf.
Problematischer wurde es in den anderen Schuhgeschäften. Aber überall war die Suche erfolglos. Entweder zu klein, falsche Farbe, zu häßlich oder mit Plateauabsätzen, wo ich mir dann gleich Stelzen hätte besorgen können. Ich war schon etwas deprimiert und hatte die Hoffnung schon aufgegeben. Umso überraschter war ich, als ich ins letzte Geschäft auf meiner Liste ging. Dort hatten sie mehrere Stiefel nach meinen Wünschen zur Auswahl. Aber was sollte ich machen? Ich wollte sie bei dem Preis wenigsten anprobieren, damit ich nicht die falschen kaufe. Dazu waren sie mit fast 400,00 DM schliesslich doch relativ teuer. Ich war bei der Betrachtung so vertieft, dass mich das typische "Kann ich Ihnen helfen" der Verkäuferin fast zu Tode erschreckte. Ich drehte mich um und vor mir stand eine etwas ältere Dame, die einen durchaus netten Eindruck machte. Mir blieb ja auch nichts anderes übrig und sagte Ihr, dass ich mich für zwei der Stiefel interessiere und sie gerne anprobieren möchte. Das die zum Fasching sein sollten (was ja auch damals stimmte), glaubte sie mir zwar nicht so ganz recht, aber war trotzdem sehr hilfsbereit.
Ich probierte das eine paar an und es war mir definitiv zu klein geschnitten. Also kam das nächste Paar dran. Insgesamt war ich relativ froh, dass wir die einzigen im Verkaufsraum war und sonste keiner - wäre mir schon etwas peinlich gewesen. Aber zu früh gefreut. Als ich gerade beide Stiefel an hatte und mich mit wackligem Stand vor dem Spiegel betrachtete, kam so ein schmieriger Yuppie mit seinen beiden Freundinnen rein. Ich wäre am liebsten im Boden versunken. Ich könnte die Stiefel niemals so schnell ausziehen, wie sie in Sichtweite kommen würden. Zu spät...er sah mich vor dem Spiegel stehen und fand es anscheinend so amüsant, dass er den Kopf zurück zu seinen beiden Freundinnen drehte, um diese darauf hinzuweisen. Leider hat der Mensch am Hinterkopf keine Augen und wenn man nach hinten schaut, sieht man nicht, was vor einem steht. Dieses Problem hatte auch dieser Yuppie und maschierte schnurstracks in einen Stapel Schuhkartons.... Damit lag die Aufmerksamkeit der anwesenden Personen bei ihm und ich konnte in aller Ruhe meine Anprobe beenden und machte mich dann auf den Heimweg.

Die Woche neigte sich auch dem Ende zu und der angekündigte Tag stand mir bevor. Ich musste die Tage vorher sehr viel üben, um auf diesen Stiefeln laufen zu können. Jedenfalls so notdürftig :-).
An dem Tag wurde ich erstmal von meiner Freundin eingekleidet. Lackkleid, Lackkorsage, Strapse und Strümpfe sowie natürlich der BH mit dem Schaumgummibrüsten. Dazu noch sehr, sehr lange künstliche Fingernägel. Danach ging es ans Schminken und eine Bekannte machte mir die Frisur.
Nach ein paar Stunden war ich auch soweit fertig. Die Stiefel wollte ich erst vor Ort anziehen. Gemeinsam sind wir dann losgegangen und es war gerammelt voll in der Discothek als wir endlich ankamen. Eigentlich nur eine sehr kurze Strecke von 800m - aber irgendwie von einem seltsamen Gefühl begleitet. Dort erstmal meine normalen Stiefel ausgezogen, die Lackstiefel angezogen und dann mit sehr, sehr mulmigen Gefühl rein... Viele Bekannte hatten mich zuerst gar nicht erkannt oder guckten wirklich überrascht aus der Wäsche. Aber ansonsten war es ganz locker. Ich quählte mich damit ab, dass ich mit den langen Fingernägeln nichts, aber auch wirklich gar nichts, so machen konnte wie ich es gewohnt war und versuchte die meiste Zeit auch sitzend zu verbringen. Durch die Korsage war das aber mehr als ungewohnt. Also blieb mir auch nichts anderes übrig als zwischen den beiden Übel zu pendeln. Auf den hohen Stiefeln (14 cm Pfennig-Absatz) zu gehen oder mich mit der Korsage hinzusetzen. Jeder, der mal versucht hat sich mit einer Korsage und einem kurzem, aber engen Kleid auf einen Barhocker zu setzen, weiss WAS ich meine...
Im Laufe des Abends nahm der Alkoholkonsum der Gäste auch zu und es haben tatsächlich einige versucht, mich anzubaggern. Seitdem kann ich die Frauen verstehen, dass sie manchmal relativ giftig reagieren bzw. schon ganz kritisch schauen, wenn man sie von der Seite anspricht. Die Art und Weise wie die Kerle einen versucht haben anzubaggern (nur einer von denen hatte von Anfang an gemerkt, dass ich eigentlich ein Kerl war), ist doch teilweise nervig und lästig.
Gegen 01:00 Uhr wurden dann noch die besten Verkleidungen premiert. Der erste Preis ging an einen in einem Phantasy/Rollenspiel-Kostüm, beim zweiten wurden alle Männer in Frauenkleidung nach vorne gebeten (waren nur zwei) und die Jury überlegte, wer nun den zweiten Platz bekommt.
Die Wahl fiel auf mich und ich konnte dann noch 50 DM kassieren.

Der Abend ging endgültig zur Neige. Mir taten dir Füsse bisschen weh und wir machten uns auf den Heimweg. Da ich keine Lust hatte, mich wieder am Eingang hinzusetzen und die ganze Schnürung der Stiefel aufzumachen, ging ich so zuück. Grosser Fehler - ich hatte nicht gewusst, dass das Gehen mit solchen Stiefeln auf unebenen Boden richtig anstrengend ist. Speziell da ich noch über Kopfsteinpflaster gehen musste...Jedesmal aufpassen, dass ich mit den Absätzen keine Fuge erwische und darin versinke.
Als wir endlich zu Hause waren, war ich doch gut geschafft, aber auch ziemlich gut gelaunt. Das mulmige Gefühl am Anfang hatte sich im Laufe des Abends in ein sehr wohliges und gemütliches Gefühl gewandelt.

Und meine Freundin war mit dem Erfolg des Abends auch sehr zufrieden. Speziell da ich sie seitdem nie wieder damit ärgerte, dass sie ja schon wieder über ihre Füsse oder ihre Korsage jammert...